2. Treffen des internationalen Arbeitskreises „Marburger Gespräche zur Alten Heilkunde“

Marburger Gespräche zur Alten Heilkunde

Organisatoren
Institut für Geschichte der Pharmazie und Medizin; Centrum für Nah- und Mittelost-Studien (CNMS) / Fachgebiet Altorientalistik
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
16.06.2023 - 17.06.2023
Von
Marta Chervinka, Institut für Geschichte der Pharmazie und MEdizin, Philipps-Universität Marburg

Zum zweiten Mal fand, mit freundlicher Unterstützung des Staatsarchivs Marburg als Austragungsort, das Jahrestreffen der “Marburger Gespräche zur Alten Heilkunde“ (MGAH) statt. Diese internationale Arbeitsgruppe stellt den direkten Nachfolger des Interdisziplinären Arbeitskreises „Alte Heilkunde“ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz dar, der mit Berufung von Tanja Pommerening auf die W3 Professur am Institut für Geschichte der Pharmazie und Medizin im Herbst 2020 nach Marburg umzog.1

Anders als beim Mainzer Vorbild wurde auf die Vergabe eines Oberthemas verzichtet und die Tagung wurde als Plattform für Wissenschaftler:innen aus dem gesamtem Bereich „Alte Heilkunde“ zur Verfügung gestellt, um die neusten Forschungsergebnisse sowohl im lockeren Austausch als auch in bereichernden Beiträgen vorzustellen. Dieses Jahr wurden vor allem Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in frühen Phasen ihrer Karriere angesprochen, Dissertations- und Post-Doc-Projekte vorzustellen und mit allen Anwesenden zu diskutieren.

Die Tagung – abgehalten im historischen Landgrafensaal des Staatsarchivs – begann mit einem Grußwort der beiden Organisatoren, Tanja Pommerening (Geschichte der Pharmazie und Medizin) und Nils P. Heeßel (Altorientalistik). Auch in diesem Jahr konnten sie wieder viele bekannte, aber auch einige neue Gesichter im Kreise der stetig wachsenden Arbeitsgruppe begrüßen.

Das erste Panel unter der Moderation von Jochen Althoff (Mainz) begann mit einem Vortrag von ULRIKE STEINERT (Mainz), die über den Einsatz tierischer Drogen in mesopotamischen Texten zur Frauenheilkunde referierte. Sie ging dabei auf die Schwierigkeit im Umgang mit Tieren in den Heiltexten ein, da diese auch als sogenannte „Alias-Namen“ für pflanzliche und mineralische Drogen stehen können.

ANNA MONTE (Udine) stellte in ihrem Beitrag das Projekt „Investigating Eye Conditions, Visual Impairment, and Blindness in Hellenistic and Roman Egypt through the Lens of the Papyri“ vor, in dem in griechischen Papyri erwähnten Augenkrankheiten auf Beschreibungen dieser, Therapieansätzen sowie das Leben von Menschen mit Sehstörungen im Vordergrund stehen.
Auch GIULIA PEDRUCCI (Verona) erörterte ein mögliches Projekt über die Verflechtung von Medizin und Religion in der Antike im Feld der disability studies unter dem Titel „Children of a Lesser God. Religious Representations and Experiences of People with Disabilities in the Greek and Roman Worlds (DisAntiquity)”. Jedem Vortrag folgte eine lebendige Diskussion, in der die zahlreichen interdisziplinären Ansätze im Bereich antiker pharmakologischer Behandlungsmethoden und auf dem Gebiet der disability studies betont wurden. Besonders die Gleichartigkeit antiker aber auch spätantiker medizinscher Rezepte wurde erörtert.

Nach einer kurzen aber gesprächsintensiven Kaffeepause folgte die für die MGAH obligatorische Gesprächs- und Diskussionsrunde. In diesem Jahr standen psychoaktive Substanzen in Kultgefäßen im Fokus. Nachdem die Thematik und einige grundlegende Fragen von RIKO SÜSSENGUTH (Marburg) eingeleitet wurden, waren die Anwesenden angehalten, sich für einen ersten Austausch in kleinen Gruppen zusammenzufinden. Anschließend wurden erste Ergebnisse und weitere Problematiken in großer Runde und unter Mitwirkung aller Anwesenden interdisziplinär diskutiert. Dabei ging es vor allem um die Problematik der Identifikation von psychoaktiven Substanzen in schriftlichen wie archäologischen Quellen, inklusive der Möglichkeiten von Rückstandanalysen und Schwierigkeiten, die damit einhergehen können sowie um die Frage, was überhaupt aus moderner wie auch aus kulturimmanenter Sicht als psychoaktive Substanzen gelte und in wieweit diese beispielsweise in Ritualen zum Einsatz kamen.

Den Tag beendete KARL-HEINZ LEVEN (Erlangen-Nürnberg) mit einer öffentlichen Keynote zum Thema ¬„Klima, Pest und Migration. Die Rede vom Untergang Roms“. Hier konnten nicht nur die Aspekte spätantiker Völkerwanderung in Mittel- und Südeuropa oder seuchenbedingte Krisenzeiten das breite Publikum aus Öffentlichkeit und Konferenzteilnehmern mitreißen, sondern auch ein humoristisch eingebautes Huhn, dem einer bei Prokopios von Caesarea überlieferten Anekdote über den weströmischen Kaiser Flavius Honorius zufolge besondere Aufmerksamkeit zuteilwurde. So soll sich der Kaiser mehr Sorgen um sein Lieblingshuhn namens Roma gemacht haben als um die eigentliche Stadt Rom, die in diesem Moment von den Westgoten geplündert wurde.

Der zweite Konferenztag begann mit einem Panel zu medizinischen Instrumenten, moderiert von Rita Amedick (Marburg). LUCIE BUREŠOVÁ (Prag) referierte zum Thema „Traceology Analysis“ von medizinischen Instrumenten der Eisen- und Römerzeit am Beispiel von spatulae. Sie erläuterte den Mehrwert mikroskopischer Analysen und der Daten, die sich mittels dieser sowie Untersuchungen wie experimenteller Rekonstruktionen der Herstellungs- und Benutzungsprozesse in Zusammenarbeit mit Museen und Sammlungen gewinnen lassen.

ANTJE KRUG (Berlin) knüpfte daran an und ergänzte das Thema um die Instrumenta medici der Ärzteschaft des antiken Roms und Griechenlands. Besonders verblüffend für einige anwesenden Mediziner und Pharmazeuten war dabei, wie viele der antiken Instrumente noch heute in Gebrauch sind und welche Handwerkskunst diesen zugrunde lag. Im Verlauf der anschließenden Diskussionen tat sich vor allem der sogenannte „Löffel des Diokles“ zur Entfernung von Pfeilspitzen hervor, ein Paradebeispiel dafür, dass nicht alle Ideen in der Realität umsetzbar sind.

Im Anschluss an die Kaffeepause folgte das vierte und letzte Panel der diesjährigen MGAH unter der Moderation von Maximilian Haars (Marburg), das sich besonders dem ersten Jahrtausend n. Chr. widmete. MARKÉTA PREININGER-SVOBODA (Würzburg) stellte ihre Arbeit zu den koptischen magisch-medizinischen Papyri vor und erklärte anhand der Texte unter anderem Körperkonzepte und Vorstellungen von Krankheitsursachen durch dämonische Einflüsse oder Flüche. Als Teil der anschließenden Diskussion standen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten magischer gegenüber pharmakologischer Rezepttexte im Fokus.

Thematisch daran anknüpfend, die Quellengattung aber auf bildliche Darstellungen ausweitend, erörterte RITA AMEDICK (Marburg) die Überwindung von Krankheit und Tod in antiken und frühchristlichen Bildwerken und bezog sich dabei unter anderem auf die Unterscheidung von liegenden Lebendigen und liegenden Zum-Leben-erwachten. Anhand vieler anschaulicher Bildwerke wurden Parallelen gezogen zwischen Darstellungen sterbender mythologischer Figuren, die sich unter anderem an biblische Erzählungen anlehnten oder auch auf realistische Hintergründe rekurrierten.

Der letzte Vortrag wurde von SHAHRZAD IRANNEJAD (Marburg) gehalten. Sie stellte ihre Analyse der Diagramme von Gehirnventrikeln in den Manuskripten des persischen Arztes Rhazes vor. Ein spannender Aspekt des Beitrages und der anschließenden Diskussion war der Einfluss von Schreibern und Kopisten auf die variierenden Darstellungen der Diagramme und die Frage nach einer darauf basierenden Stemmatisierung der bisher bekannten zahlreichen Handschriften.

Mit einem Schlusswort der Organisatoren und großem Dank an alle Beteiligten wurden die 2. "Marburger Gespräche zur Alten Heilkunde" erfolgreich beendet. Auch in diesem Jahr war das Treffen ein großer Erfolg. Insbesondere die spannenden Vorträge und die anregenden Diskussionen aller Beteiligten, aber auch das nette Beisammensein und intensive Gespräche – sowohl im Zuge der Diskussionen als auch während der Pausen und gemeinsamen Abendgestaltung – haben dazu beigetragen, diese beiden Tage zu etwas Besonderem zu machen und unser aller Verständnis alter Heilkunde zu erweitern.

Konferenzübersicht:

Tanja Pommerening (Marburg) / Nils P. Heeßel (Marburg): Begrüßung und Einführung

Jochen Althoff (Mainz): Chair von Panel 1

Ulrike Steinert (Mainz): Animals in remedies of ancient Mesopotamian women’s health care texts

Anna Monte (Udine): Sonne, Sand, und... Augenkrankheiten: Ein Forschungsprojekt über Augenheilkunde im griechisch-römischen Ägypten

Giulia Pedrucci (Verona): DisAntiquity: The entanglement of medicine and religion in the ancient world in the study of disabilities

Tanja Pommerening (Marburg) / Nils P. Heeßel (Marburg): Chairs von Panel 2

Riko Süssenguth (Marburg): Psychoactive Substances in Cult Vessels

Tanja Pommerening (Marburg) / Nils P. Heeßel (Marburg): Moderation der Diskussionsrunde

Tanja Pommerening (Marburg): Moderation der öffentlichen Keynote

Karl-Heinz Leven: Klima, Pest und Migration. Die Rede vom Untergang Roms
§Rita Amedick (Marburg): Chair von Panel 3

Lucie Burešová (Prag): Traceology Analysis of Instruments for Treatment of the Iron Age and the Roman Period in Central Europe

Antje Krug (Berlin): Instrumenta Medici. Antike Medizin und antike Technik

Maximilian Haars (Marburg): Chair von Panel 4

Markéta Preininger Svobodova (Würzburg): Healing in Coptic Magical Texts

Rita Amedick (Marburg): „Steh auf und geh umher!“ Die Überwindung von Krankheit und Tod in antiken und frühchristlichen Bildwerken

Shahrzad Irannejad (Marburg): Brain Ventricles: from Text to Diagram

Anmerkung:
1 Für mehr Informationen zum Profil der Arbeitsgruppe und ihrer Geschichte sei auf die offizielle Website verwiesen: https://www.uni-marburg.de/de/fb16/igphmr/mgah

Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts